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Köln, 04.08.2010 Das große Rennen im Schatten des Doms: Alles riskiert und (fast) alles gewonnen
Fünf Minuten lang stand ICE 526 auf der Hohenzollernbrücke, bis drei Minuten vor der planmäßigen Ankunft das Gleis auf dem Hauptbahnhof frei wurde. Der Dom streckt seine beiden erleuchteten Türme in den
Abendhimmel. Nicht nur das Ziel einer Reise war am späten Dienstagabend erreicht, sondern auch fast das Ziel der Saison. Noch zwölf Stunden bis Ultimo, doch die Nervosität hat sich wieder gelegt. Früh ging es am
Mittwochmorgen hinaus nach Müngersdorf, die Straßen waren noch nass vom Regen. Startnummernabholung - absolut problemlos, so hatte ich noch reichlich Zeit, die ersten Wettkämpfe im Netcolgne-Stadion zu verfolgen, so auch den ersten 5000er mit der
Lokalmatadorin Anette Weiss. Wie schon die 1500m entschied sie auch die 5000m für sich und wir kamen nachher noch ins Gespräch. Auch sie konnte sich noch an mich erinnern, denn sie schaffte es
beim Frontrun am warmen Fronleichnamstag, bis auf wenige Meter an mich heranzulaufen. Einlaufen auf mittlerweise bekannten Wegen im Stadtwald, die Bedingungen waren sehr gut: etwa 20 Grad
und leichter Wind. Zeitig war ich zurück, die langen Steigerungen auf dem Rasen, da keine Wurfwettbewerbe liefen. 23 Meldungen für die 5000 m der M45 lagen vor, doch an Ende holten 19 irgendwann ihre Startnummer.
Gegen 10:15 Uhr war es dann soweit: Der Startordner verlas die Namen und von überall aus der Läufergruppe, die nun
beieinanderstand, kamen die Antworten: Yes, here, hier, qui.. Bei vier Namen kam auch nach wiederholtem Aufruf keine
Antwort, so waren wir also 15 Starter aus fünf Ländern Europas und Nordamerikas: Jeweils fünfmal USA und
Deutschland, dazu Frankreich, Kanada und Dänemark. Einordnen konnte ich natürlich niemanden und ich sagte noch zu
einem Nürnberger: „Wahrscheinlich beginnt nach drei Kilometern das Überrundetwerden und das Überrunden“. Denn es
war zu erwartet, dass sich das Feld sehr in die Länge ziehen werde und ich hoffte, mit meinen erwarteten 19:00 min
irgendwo mittendrin zu sein. Das wichtigste war natürlich das Dabeisein. Nachdem die 800m und die 1500 m aus Zeitgründen nicht möglich waren, blieben eben nur die ungeliebten 5000 m übrig. Jeder suchte sich einen Punkt an der Linie, eingeteilt wurde nicht und die Startlinie war lang genug. „On your marks!“ –
schnell kam der Schuss – das große Rennen hat begonnen. Problemlos kamen wir ins Rennen, ich fand mich auf dem fünften Platz wieder. Ein Mann in Gelb vorneweg, dann einer Dreiergruppe, dann
ich. Vierzig Sekunden für die erste halbe Runde, langsam war das nicht. Aber ich ließ es erst einmal rollen. 3:33 für den ersten Kilometer – ein Affenzahn für mich... Aber was geschah denn da...
? Die fünf Mann an der Spitze vereinigten sich zu einer Spitzengruppe, ich am Ende dieses Feldes. Und der Gedanke im Hinterkopf: mit einem fünften Platz könnte ich mich schon ganz gut anfreunden
denn nach hinten war schon Luft. Ich durfte nur nicht einbrechen. Dann tat sich in der Vierergruppe vor mir eine Lücke auf und ich klemmte mich einfach mal da rein. Kurz danach waren wir nur noch zu
dritt. Irgendwie läuft das Rennen ganz anders, als ich es mir vorher vorgestellt habe. Bei 11:03 min durchliefen wir, also
ich und die beiden US-Amerikaner Rick Duque und Koji Kawano, die 3-km-Marke, zum Vergleich: in Feuchtwangen bin
ich den 3000er in 10:57 min gelaufen. Und dann geschah etwas, was ich kaum vor möglich gehalten habe. Ich suchte einfach mal die Flucht nach vorne. Von wegen nur mitlaufen – jetzt lag Deutschland in Führung. Rick ließ sich aber nicht
abschütteln, er blieb in Lauerposition, aber Koji verlor Meter um Meter. Angefeuert wurde überall, von einigen sogar mit Namen. Ich schaute kaum noch auf die Uhr, die zweisprachigen Stadionsprecher und der Lärm der
Zuschauer – ich nahm es nicht mehr wahr. 900 m vor Ultimo suchte und fand Rick dann die Entscheidung. Eine Tempoverschärfung des Mannes aus
Seattle, dann lief er noch einen sicheren Vorsprung heraus und siegte in 18:11,61 min. Und ich...? Silber...? Ein Traum. Aber da war ja noch Koji, in Sicherheit durfte ich mich nicht wiegen. Letzte Runde, wo ist Koji. Es war schwierig, zwischen den
überrundeten Läufern den Überblick zu behalten. Zum letzten Mal auf die Zielgerade einbiegen, Tempo hochhalten, vorne lief Rick seinen Sieg entgegen. Noch 50 m, die Geräuschkulisse schwoll an und
auch die Stimmen der Sprecher überschlugen sich. Verstohlener Blick nach hinten, da kam nicht wie in Regelsbach Dennis Winter aus Wieseth, sondern Koji Kawano aus San Francisco, der es im gleichen
Stil versuchte. Nun gings auf Ganze, jetzt gebe ich Silber nicht mehr kampflos her. Der Konter kam rechtzeitig, der Vorsprung reichte, 1,22 Sekunden.. Silber! Als ich mich wieder in die Vertikale begab, näherte sich
die mitlaufende Uhr bereits der 21-min-Marke, meine Zeit wusste ich also noch nicht. Dafür kamen schon die ersten Glückwünsche und das ging auf dem späteren Weg zur Tribüne dann so weiter und meistens auf Englisch.
Die nächsten 5000m-Rennen konnte ich dann in aller Ruhe auch beim Auslaufen auf dem Rasen verfolgen und beim M35er Lauf ging es mit Siegerzeiten unter 17 so richtig zur Sache,
während die Hauptklasse dann wieder über 18 wegging, Bei den Männern gab es aber über 5000 m nur eine einzige Medaille für Deutschland...
Es dauerte gar nicht lange, bis es soweit war. „Winner of the Silvermedal – from Germany: Jörg Behrendt”. Das Ziel
einer Wettkampfsaison ist erreicht, mit einen Erfolg, der unerwartet kam. So konnte ich es auch leicht verschmerzen,
dass es mit den 800 m nicht klappte. Über 1500 m wäre ich wohl Fünfter geworden, da war Rick in 4:40 Zweiter. Doch
hätte ich nur die 5000 m-Zeiten gelesen, ohne dabeigewesen zu sein, hätte ich mich mit 19 Minuten auch als Fünfter
vermutet, denn ich wäre froh gewesen, wenn es unter 19 gegangen wäre. Tatsächlich waren es aber 18:31,20 min, meine schnellste 5000m-Zeit seit den Fleiner 18:06 vor fast vier Jahren – die Freude war komplett.
Und dann war da noch Bettina Blass vom Ehrenfeld-Reporter (www.ehrenfeld-reporter.de) “Sie sahen so glücklich aus,
als Sie da auf dem Boden lagen, da musste ich einfach abdrücken.”, schrieb sie mir. Ihren Bericht von den Gay-Games gibt es hier, denn sie war vier Tage ausserhalb ihres “Veddels” unterwegs: http://www.ehrenfeld-reporter.de/das-waren-meine-gay-games/ . Und auch ein Fernsehteam hatte mich im Visier.
Die Konzentration auf ein einziges Rennen, fixiert auf Köln, Nervosität am Vortag, die kurz vor dem Start verflog. Gute
Bedingungen, Mut zum Risiko, passende Konkurrenz – ein Rennen, wo wohl fast alles passte – mein erstes großes internationales Rennen, das lange in der Erinnerung bleiben wird.
Danke an Jörg Leitner, der seinen Urlaub für einen Tag unterbrach und mir diese Stunden der Freude ermöglicht hat. Und von Hans Seeger gab es gleich eine Einladung zum Essen...
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